Protestantismus und Kapitalismus – Wie aktuell ist Max Weber?

Über dieses Thema sprach Wolfgang Huber mit dem Radiosender MDR Figaro.

Der Wortlaut des Gesprächs im „Magazin für Sinn- und Glaubensfragen“, ausgestrahlt am 19.04.2014.

Moderation: Bastian Wierzioch

Am 21. April 1864, also übermorgen vor 150 Jahren, wurde der Soziologe Max Weber geboren. Zur Welt kam er in Erfurt, aufgewachsen ist er in Berlin, in einem großbürgerlichen und protestantischen Elternhaus. Später wurde er Professor für Nationalökonomie in Freiburg und in Heidelberg. In den Jahren 1904 und 1905 schrieb Max Weber einen Text, der bis heute zur Pflichtlektüre von Soziologie-Studenten auf der ganzen Welt gehört: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Sinngemäß heißt es darin, dass der Protestantismus den Kapitalismus zu dem gemacht hat, was er ist, beziehungsweise was er zu Beginn des 20. Jahrhunderts war. Über diesen Text und über seinen Autor spreche ich jetzt mit Wolfgang Huber, dem ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Bastian Wierzioch: Lassen Sie uns doch zunächst auf den Menschen Max Weber gucken, auf dessen kirchliche Prägung. Weber war Protestant, konfirmiert, kirchlich getraut und bis zu seinem Tod war er Mitglied der badischen Landeskirche. Er selbst bezeichnete sich aber als „religiös unmusikalisch“. Gab es da einen Widerspruch zwischen dem Autor und seinem Werk?

Wolfgang Huber: Nein, das glaube ich nicht. Er hat bloß auch zur Religion im Lauf seines Lebens eine derart wissenschaftliche Haltung entwickelt, dass er Religion nicht als einen Teil seines persönlichen Erlebens, nicht als Ausdruck seiner persönlichen Frömmigkeit verstanden hat, und das bringt er mit diesem Ausdruck, er sei „religiös unmusikalisch“, zum Ausdruck. Ein Ausdruck, der sagt: Er hat sich nicht einfach von der Religion verabschiedet, sondern sie blieb ein wichtiger Bereich des Lebens, dem er sich vor allem wissenschaftlich zugewandt hat.

„Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ – So heißt einer der wichtigsten Aufsätze von Max Weber. Seine These lautet, vereinfacht gesagt, dass der Protestantismus das neuzeitliche Arbeitsethos und somit die Entstehung des modernen Kapitalismus gefördert hat. Was heißt das denn genau?

Es heißt genau, dass Max Weber in jenen Jahren, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sich das Ethos und den Geist von Wirtschaftsführern insbesondere in den USA angeschaut hat und dort eine Wahlverwandtschaft zwischen der reformierten, der calvinistischen Seite des Protestantismus und einer persönlich kapitalistischen Haltung entdeckt und nachgewiesen hat. Eine Wahlverwandtschaft, sage ich mit Absicht, weil er in diesem großen Aufsatz ausdrücklich gesagt hat, er wolle keine töricht doktrinäre These verfechten, die sagt, dass der kapitalistische Geist nur als Ausfluss bestimmter Einflüsse der Reformation überhaupt habe entstehen können, sondern er beschreibt eine Wahlverwandtschaft. Und diese Wahlverwandtschaft hat damit zu tun, dass diese Strömung der Reformation, wie sie sich dann in Amerika vor allem bei den Presbyterianern ausgewirkt hat, davon ausgeht, dass die Erwählung durch Gott auch im irdischen Erfolg eine Widerspiegelung findet, und der erfolgreiche wirtschaftlich tätige Mensch spürt diesen Erfolg, indem das eingesetzte Kapital sich rentiert, Profite abwirft, aber er macht sie sich nicht subjektiv zu Nutzen, indem er ein schönes Leben führt, sondern er geht damit im Geist der innerweltlichen Askese um und investiert dieses Geld dafür, dass die Wirtschaft weitergeht, neue Arbeitsplätze geschaffen werden etc. Das beschreibt Weber sehr anschaulich. Die These ist oft verkürzt worden, indem aus der Wahlverwandtschaft eine ursächliche Herkunft des Kapitalismus gemacht worden ist oder dass gar gesagt wurde, wenn man Max Weber zu Ende denkt, dann könnte sich Kapitalismus ja überhaupt nur auf dem protestantisch-reformierten Boden entwickelt haben, und das ist ja offenkundig nicht richtig.

In unserer heutigen Zeit der andauernden Finanzkrisen, für die ja zuvorderst Banker Verantwortung tragen, hat der Ruf nach Moral in der Wirtschaft Konjunktur. Braucht es ein Zurück zur protestantischen Ethik, oder anders gefragt: Wie aktuell ist Max Weber heute?

In dieser Hinsicht ist Max Weber vor allem dadurch aktuell, dass er in einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich in dem mindestens genauso berühmten Vortrag über „Politik als Beruf“, das Konzept der Verantwortungsethik entwickelt hat, welches im Kern sagt, dass derjenige, der handelt, sich Rechenschaft ablegen muss über die möglichen Folgen seines Handelns und auch dafür Verantwortung trägt. Und wenn man sich diese Idee mal anschaut, und sich dabei auch bewusst macht, dass Max Weber diese Verantwortungsethik zwar polemisch gegen die Gesinnungsethik gestellt hat, aber am Ende ausdrücklich sagt, er meine damit nicht einen gesinnungslosen Verantwortungsethiker oder einen verantwortungslosen Gesinnungsethiker, sondern die persönliche Überzeugung und die Verantwortung für die Konsequenzen zusammen sieht, dann muss man sagen: Das, was in einem bestimmten Teil des Bankenwesens in den zurückliegenden Jahren geschehen ist und noch immer geschieht, erfüllt elementare Bedingungen verantwortungsethischen Handelns nicht. Es ist ja gerade dadurch charakterisiert, dass Risiko und Haftung auseinandergenommen werden, das heißt, dass Menschen Risiken eingehen, für deren Folgen sie sich nicht verantwortlich fühlen, und das ist genau das Gegenteil der ethischen Konzeption, für die Max Weber sich eingesetzt hat.

Ich nehme Ihr Wort von der Verantwortung mal auf. Für Calvin, auf den sich Weber beruft, war Reichtum kein Selbstzweck, sondern hatte immer im Dienst der Gemeinschaft zu stehen. Davon sind aber doch Teile des heutigen internationalen Bankenwesens Lichtjahre entfernt, oder nicht?

Das gilt sogar nicht nur für das Bankenwesen, sondern auch für andere Bereiche der Wirtschaft. Von dem berühmten Ökonomen Milton Friedman stammt ja der Satz, und der stammt aus den frühen 70er Jahren: „The business of business is business.“ Zu Deutsch: Der Sinn der Wirtschaft besteht in nichts anderem als darin, die Profite zu maximieren. Und das ist eine Engführung des Sinns von Wirtschaft, die sich im Lauf der Jahre immer klarer als eine sehr verhängnisvolle Sackgasse erwiesen hat. Und die Verselbständigung der Finanzwirtschaft hat dann das ihre dazu beigetragen, dass diese ausschließliche Orientierung an der Maximierung des Profits immer verhängnisvollere Konsequenzen gehabt hat. Ich bin fest davon überzeugt, dass die entschlossenen Konsequenzen aus der Lehman-Brothers-Krise noch immer nicht zureichend gezogen worden sind und ich finde es vollkommen richtig, im Jubiläumsjahr von Max Weber zu sagen: Wer diese ganze Tradition im Blick hat und die Auswirkungen der protestantischen Ethik auf die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft mit einbezieht, der muss sich dafür einsetzen, dass sich hier ganz zentral etwas ändert, die persönliche Moral der Akteure eingeschlossen.

Das sagt der evangelische Theologe, Sozialethiker und Max-Weber-Kenner Wolfgang Huber über die Aktualität des Soziologen, der vor knapp 150 Jahren geboren wurde. Herr Huber, haben Sie vielen Dank für Ihre Einschätzungen.