Mit Blick auf den Islam differenzieren, nicht verallgemeinern
Wir brauchen beides: Eine klare Absage an die Verbindung von Religion und Gewalt, und auf der anderen Seite einen fairen Umgang mit dem Islam und den Muslimen, die unter uns leben.
Es ist sehr wichtig, und bedeutende Menschen bis hin zum Bundespräsidenten haben versucht dazu beizutragen, dass wir Musliminnen und Muslime, die auf Dauer in Deutschland leben und unter Umständen die deutsche Staatsangehörigkeit haben, wirklich als uns zugehörig ansehen. Und nicht einen Generalverdacht aussprechen, dass sie, weil sie Muslime sind, nicht dazu fähig wären, in der Demokratie heimisch zu werden. Wir haben eine gemeinsame Aufgabe, das zu fördern und zu bejahen, wo es stattfindet.
Doch es kommt vor, dass es nach der einen wie der anderen Seite plötzlich an Differenzierungsfähigkeit fehlt: Die einen sagen: Gott sei dank, wir haben viele Muslime um uns herum, die vollkommen in unserem Land, in unseren Grundwerten angekommen sind und denen wir nicht mit einem Vorbehalt begegnen wollen. Und auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die vom islamischen Extremismus so angefasst sind, dass sie den Islam insgesamt damit gleichsetzen.
Polarisierungen sind gefährlich
Je schärfer Polarisierungen sind, wie jetzt in dieser Situation, in der das Extremste passiert, was überhaupt passieren kann, nämlich dass rücksichtslos Menschen auf eine niederträchtige Weise zu Tode gebracht werden, greifen diese extremen Verallgemeinerungen wieder um sich. Das ist sehr wahrscheinlich und wäre sehr gefährlich. Wir brauchen im Augenblick beides zugleich: Eine klare Absage an die Verbindung von Religion und Gewalt in dieser Form, wie wir es jetzt bei Hamas erleben, und auf der anderen Seite trotzdem einen fairen Umgang mit dem Islam und den Menschen, die bei uns und unter uns leben.
Frage: Sind extremistische Organisationen wie die Hamas Teil des Islam, oder stehen sie außerhalb, weil sie die Religion für Gewalt missbrauchen?
Ich kann ja nicht generell sagen, dass bei jeder Religion die extremen Formen als nicht mehr dazugehörig angesehen werden. Es gibt Länder, in denen auch extreme Formen von Christentum keineswegs als außerhalb der Kirchen angesehen werden, sondern in Gestalt der Pfingstbewegung oder anderen Formen mitten in der Gesellschaft präsent sind.
Und im Islam ist es in gewisser Weise erst recht so, dass fundamentalistische Neigungen – wie wir das beschreiben würden – einen integralen Bestandteil bilden und sich sehr oft auch mit politischen Neigungen verknüpfen, die durchaus terroristische Züge haben können. Und das nicht erst seit heute. Ich bin der Auffassung, dass die Hamas als Organisation nicht einfach aus dem Islam ausgeschlossen werden kann.
Interview mit Deutschlandfunk Kultur, 28. Oktober 2023