Wie agiert ein mündiger Christ in der Klimadiskussion?

So, dass er weder der Euphorie, die mit technischen Innovationen verbunden wird, noch der Apokalyptik, die sich an
Untergangsszenarien orientiert, nachläuft.

Das sagte Wolfgang Huber im Interview mit der WELT vom 09. Juli 2019. Ein mündiger Christ sollte sich nach Hubers Worten gerade dann herausgefordert fühlen, wenn aktuelle Entwicklungen religiös interpretiert werden: "Zwar wird behauptet, wir seien eine säkulare Gesellschaft. Aber diese säkulare Gesellschaft schwimmt ja in religiösen Bildern, mit denen gerade die großen Fragen unserer Zeit interpretiert werden. Dies geschieht häufig in der Polarisierung zwischen Segen und Fluch, zwischen Paradies und Hölle. Eine solche religiös aufgeladene Polarisierung ist dem Einsatz der dem Menschen von Gott anvertrauten Vernunft nicht gerade förderlich."

Panik und Angst sind keine guten Ratgeber

Deshalb hätten Christen - und unter ihnen insbesondere die Theologen - eine religionskritische Aufgabe. "Man kann junge Leute verstehen, die alarmistisch auf den Klimawandel reagieren. Doch wenn es darum geht, dieser Entwicklung wirksam Einhalt zu gebieten, sind Panik und Angst keine guten Ratgeber."

Auf die Frage von WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt, ob der mündige Christ auch mündiger Bürger und Konsument sein müsse, antwortete Wolfgang Huber: "Wir brauchen Dialogfähigkeit. Wir erleben eine große gesellschaftliche Debatte über Diversity und unterstreichen, wie großartig und bereichernd gesellschaftliche Vielfalt ist. Nur in der entscheidenden Frage machen wir davon überhaupt keinen Gebrauch, nämlich wenn es um die tragenden Überzeugungen von Menschen geht. Da suchen wir nur Konformität."

Filterblasen verstärken Konformität

Und das werde in einer gefährlichen Weise verstärkt durch die Filterblasen, in denen Menschen sich nicht nur dann bewegten, wenn sie im Internet und in den digitalen Medien unterwegs sind, sondern von denen sie auch im "analogen" Teil ihres Alltags umgeben seien. "Wir bewegen uns am allerliebsten in relativ homogenen Gruppen. Damit sind die Kontroversen, die wir austragen, auf ein relativ homogenes Level beschränkt. Fremde Lebens- und Überzeugungswelten nehmen wir nur selten wahr."

Ein Beispiel hierfür sei der neue Populismus: "Unsere Kirche hat vollkommen korrekt gesagt, was an den Grundpositionen der AfD aus christlicher Perspektive nicht akzeptabel ist. Viel wichtiger ist jedoch die Frage, was Menschen dazu veranlasst, einer Partei, die diese Positionen vertritt, ihre Stimme zu geben. Und mündige Christen haben nach meiner Auffassung nicht nur die Pflicht, politische Positionen, die Einzelne und Gruppen abwerten, unzweideutig abzulehnen, sondern mit Menschen zu reden, die trotz oder wegen dieser Positionen sich für populistische Parteien entscheiden."

Nicht besserwisserisch mit den Schülerprotesten umgehen

Ein ganz anders geartetes Beispiel sei das, was sich jetzt als politische Jugendbewegung entwickelt: "Noch vor Kurzem hätte das kaum einer der Älteren der jungen Generation überhaupt zugetraut. Und nun muss man darum beten, dass die älteren Generationen damit nicht wieder genauso umgehen, wie sie 1968 mit dem damaligen Generationenkonflikt umgegangen sind. Nämlich besserwisserisch und damit konfliktverschärfend."

Die "affirmative Verniedlichung" der Schülerproteste in der öffentlichen Diskussion lasse sich auf Dauer nicht durchhalten, ist Huber überzeugt: "Wer die anstehenden Fragen ernst nimmt, muss den Mut zu verändertem Handeln entwickeln. Irgendwann müssen den Worten Taten folgen. Dann muss man die Komplexität der Probleme ernst nehmen und nach Lösungen suchen, die dem gerecht werden. Mündigkeit in der Komplexität wird schwieriger, aber zugleich auch notwendiger." Zu dieser Mündigkeit gehöre auch zuzugeben, dass wir nicht alles überblicken oder voraussagen können. "Wir kennen die Zukunft nicht. Wer alt genug ist, hat das erlebt: Kaum einer hat den Fall der Mauer in Berlin vorausgesehen. Und er ist doch gekommen."

Das Interview erschien in der Print-Ausgabe der WELT und im kostenpflichtigen Angebot Welt plus.